Eintrag & Kommentare

Popnation oder Popuniverse

Von pnkpnzr, 05.11.2005, 09:58

Karl Selent
Popnation oder Popuniverse - Viva oder VH1
Zur Verteidigung der Kulturindustrie im Wissen um ihre Dialektik

15 Jahre deutsche Einheit – und die fette Nation blickt auf ihre Siege im Kalten Kulturkrieg gegen die "Weltmacht Amerika". Techno, jene in den Tagen der deutschen Wiedervereinigungsbesoffenheit in Gang gekommene Maschinenmusik, hat in den 90ern Rock und Pop aus den Diskotheken und von den Straßen gefegt. MTV ist bloß noch eine Kopie des deutschen Heimatpopmusiksenders VIVA. Deutsche Moderatoren quatschen an deutschen Lokalitäten über deutsche Musikszenen. Längst hat der ehemals kosmopolitische Popkultursender eine 40 Prozent Quote deutscher Musikproduktionen. Erfolgreich fordert die Popnation das Popuniverse heraus. Deutschrock, deutscher Hip Hop, neue deutsche Härte auf allen hiesigen Kanälen. Rammstein präsentierten bei den MTV Europe Music Awards, nein, keine Lightshow, kein sprühendes Bühnenfeuerwerk, sondern ein Stahlgewitter! VIVA, Stefan Raab, Jürgen Drews und Guildo Horn haben den deutschen Schlager wieder hoffähig gemacht, Jürgen Becker, Gaby Köster und weitere alternative Mundartpfleger, sprich Kabarettisten, den Karneval (Stunksitzung). Die Toten Hosen mit samt ihres Punkerkindergartenanhangs zieht es zum Rosenmontagszug. Und das Wandern ist neuerdings nicht nur des Müllers Lust, sondern auch die des Fernsehknechts von Harald Schmidt, Manuel Andrag. Seit 1945 war keine Jugend so mit der Kultur ihrer Nazi-Väter versöhnt wie die heutige. Vor '89 hätte keine deutsche Jugend es gewagt, einen solchen Massenaufmarsch zu veranstalten wie den der 1,5 Millionen Loveparadeure, die gerne auch mit schwarz-rot-goldenen Eulenspiegelhüten herumraven, während textile Riesenluftröhren in den Deutschlandfarben von so manchem Techno-Truck in den Himmel zucken und im VIVA-Livebericht beständig und zwanghaft die Wahrzeichen der Nation ins Bild geraten: die Siegessäule, das Brandenburger Tor, der Reichstag. Am friedlichen deutschen Technowesen sollte die Welt vom Krieg genesen. Mit Tausenden von Euro haben das Außenministerium und das Goethe-Institut den Export der Loveparade bis nach Mexiko-City unterstützt, wo 2004 immerhin 250.000 Leute sich tummelten – und doch, vergebens. Gab es bereits 2002 in Berlin nur 650.000, im Jahr darauf nur 500.000 Raver, und hat es sich seither ausgeravt, so brachten Joschkas Euro in der Welt nicht mal diese Teilnehmerzahlen zusammen. Zappelten in Acapulco 200.000 Leute herum, waren es in Santiago de Chile nur 100.000, in San Francisco ganze 15.000, in Kapstadt 3000. (Wien und Zürich dürfen als angeschlossen gelten, und in Paris hat man sich den Deutschen schon immer ergeben.) Weitere Loveparades? Sydney? Bombay? Hongkong? Montreal? New York? Fehlanzeige. Es hat sich ausgesiegt. Wer in der Welt interessiert sich schon für eine modernisierte Variante der deutschen Marschmusik. Das Popuniverse schlägt zurück. In dessen unendlichen Weiten verliert sich der Kulturkrieg des neuen Deutschland wie einst der militärische Krieg des alten in der Tiefe des sowjetischen Raumes. Die Loveparade ist tot. Rammsteins Riefenstahl-Olympiafilm-Musikvideoclip ist in der Heavy Rotation solange durchgedudelt und durchgenudelt worden, bis das Stück rückstandslos erledigt war. Die Nazi-Kunst sollte für die Ewigkeit sein, ihren Wagner, ihren Beethoven und ihren Goethe wollen die Deutschen auf immer verehren – jedoch das Popuniverse hat noch jeden gigantischen Mega-Act letztendlich auf einen winzigen Stern unter Milliarden zusammengeschrumpft. Die Kulturindustrie hat noch alles, was hip und trendy ist, jede Mode und jede neue Musikbewegung final kleingekriegt. Was heute in ist, ist morgen out. "Alles Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht ... die Bourgeoisie", heißt es im Kommunistischen Manifest, "hat die Konsumtion kosmopolitisch gestaltet". Die Sehnsucht der Deutschen nach Heimat und Gemeinschaft, nach Vaterland und dem Idyll des Schrebergartens kann im Popuniverse keine Erfüllung finden. Die Star-Trekis müssen immerzu aufbrechen zu neuen Welten, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat.
Daß man dort auf ganz irdische Verhältnisse trifft, daß der Kick des Mega-Events nicht lange anhält, dieses bloß die Wiederholung des eigentlich immer Gleichen bietet, ficht die Fans nicht an. Mit dem Sex verhält es sich ja ähnlich, und trotzdem ist man immer wieder scharf drauf. Während die Hiesigen vor der Glitzerwelt in die Heile Welt sich flüchten und gegen die allgegenwärtige Unsicherheit zur faschistischen Volksgemeinschaft tendieren, wissen die Fans um die finale Vergeblichkeit ihrer Vergnügungssucht. I can't get no satisfaction, sangen die Stones. Keiner kommt hier lebend raus, wußte der Country-Musiker Hank Williams.
Der Referent, im Bewußtsein der widersprüchlichen Entwicklung der Kulturindustrie, im Wissen um den Kampf, der in ihr zwischen Antisemitismus und Anti-Antisemitismus, zwischen Rassismus und Antirassismus, Homophobie und Anti-Homophobie im Gange ist – freilich haben im Kino noch immer die Guten gesiegt, siehe die Entwicklung der Star-Trek-Story von der ersten persönlichen Begegnung Captain Jean-Luc Picards mit einem Ferengi als Rachejuden bis zur Aufnahme des ersten Juden-Ferengi in die Sternenflotte, siehe die Entwicklung des Kinofilms von der Darstellung der Schwarzen ausschließlich als Diener des weißen Mannes bis zur Berufung des Benjamin Sisko zum Captain der Raumstation Deep Space 9 – der Referent also, ein Verehrer von Jil Taylor, Fran Fine und Diana Krall, verteidigt das Popuniverse gegen seine Antagonisten. Er räumt die Bühne frei von teutonischen Söhnen Mannheims, von Bochum-ich-komm-aus-dir-Heimatpopmusikanten, von all den Brothers Keepers, die stolz sind, ein Deutscher zu sein, er räumt die Bühne frei für Roisine Murphy, jene lasziv-glamouröse Trip-Hoperin, Frontfrau der Popband Moloko, die mit einem schwarzen Musikerkollegen – live on stage! – schon mal Sachen gemacht hat, für die er in einer ostdeutschen Kleinstadt erschlagen, sie in Teheran gesteinigt würde und im Gazastreifen einen Benzin getränkten Autoreifen um den Hals gehängt bekäme.


P. H.(Gast), 12.12.2009, 02:08

Wie soll man den Xavier "Ich liebe Deutschland" Naidoo sonst nennen als einen Teutonischen?

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Helen Hunt(Gast), 19.08.2008, 01:22

Was an den Söhnen Mannheims teutonisch, deutsch ist? Der lokalpatriotische Name. Die damit betriebene Heimattümelei. Kann das sein?

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ion(Gast), 05.11.2005, 12:07

*den söhnen mannheims

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ion(Gast), 05.11.2005, 12:06

eine frage quält mich besonders: was, zum donner, ist an söhnen mannheim teutonisch, deutsch? jedes dritte, vierte, fünfte mitglied?

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